Käptn Hildebrand: Bauchschmerzen

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Kranksein ist elend. Immerhin waren sie auf der ‹Sonnenstrahl› zu dritt, Nervling nicht eingerechnet, und konnten sich in der Regel gegenseitig pflegen; Teekochen zum Beispiel oder Bettflaschen machen. Aber einmal, einmal waren sie alle gleichzeitig krank, Nervling mit eingeschlossen. Zuerst klagte Besen-Ben über Bauchschmerzen, dann kränkelte Nervling, dann Käptn Hildebrand und am Schluss auch noch Heieieidi. War das eine miese Zeit!
Sie lagen nur noch herum, assen Zwieback und kamen ins Grübeln. Das konnte doch unmöglich Zufall sein, dass es sie alle miteinander, quasi auf Kommando erwischt hatte. War vielleicht mit den Fischen gestern etwas nicht in Ordnung gewesen? Doch Heieieidi schwor, die Fische seien ganz frisch gewesen, Süsswasserfische sogar, und sie habe vor dem Anbraten wie immer einen Riechtest gemacht. Oder war am Ende das Trinkwasser schlecht geworden? Aber das hätten sie doch merken müssen, abgestandenes Wasser stinkt. Na gut, der Tee gestern Morgen, kam ihnen in den Sinn, der hatte zwar nicht gerochen, aber etwas seltsam geschmeckt, irgendwie seifig. Vielleicht hatte jemand nicht gut gespült? Aber das legt doch nicht gleich eine ganze Mannschaft flach! Schliesslich verdächtigte Heieieidi gar Besen-Ben, der jeweils wilde Küchenkräuter sammelte. Vielleicht habe er eines erwischt, das er nicht kannte, ein tropisches Bauchwehkraut oder so? Jetzt war Besen-Ben aber beleidigt: «Sicher nicht, du! Meinst du, ich würde uns alle vergiften, hm?! Ich sammle nur, was ich kenne, ja, nur das.»
«Genug!», sagte Käptn Hildebrand leise. Eigentlich hätte es ein lautes Wettern werden sollen, aber die Bauchschmerzen liessen eine derartige Anstrengung nicht zu. Jedenfalls hatte er die Nase voll vom sinnlosen Werweissen. Per Funk bat er einen erfahrenen Schiffsarzt um Rat. Es gebe in dieser Meeresgegend grausliche Bandwürmer, erklärte dieser. Und seine Stimme knisterte aus der kleinen Funkboxe, was sehr wissenschaftlich tönte. Die würden in Säugetiermägen leben, also zum Beispiel in Menschen- oder Affenmägen, folglich also möglicherweise auch just in den Mägen der ‹Sonnenstrahl›-Besatzung. Käptn Hildebrand griff sich unweigerlich an den Bauch und sagte leise «ui». Aber der Schiffsarzt knisterte weiter.
Häufig merke man lange nichts von solchen Würmern, das sei durchaus normal. Aber ein Befall könne unter gewissen Umständen plötzlich zu heftigen Bauchschmerzen und Durchfall führen und im Extremfall, ja im Extremfall sogar zu einer Form von «innerer Auszehrung». Und das, fügte er wichtigtuerisch an, das habe unbehandelt und in Ausnahmefällen manchmal sogar tödliche Folgen.
Besen-Ben hatte schon einmal einen Bandwurm aus nächster Nähe gesehen – weiss und lang – und wusste deshalb, wovon die Rede war. «Nein, du!», sagte er jetzt, «jetzt, jetzt ist es aus mit uns.» Aber Heieieidi lachte nur. Was «Innere Auszehrung»?, von so etwas habe sie noch nie gehört, und sicher sei bei dieser Sache ja gar nichts, und überhaupt gebe es in der Schiffsapotheke genau für solche Fälle ein erstklassiges Notfall-Mittel. Das wirke gegen alle Arten von Parasiten, also auch gegen Bandwürmer. «Wir müssen uns nur von dieser Flüssigkeit in den Hintern spritzen, und schon sind wir wieder gesund.»
Von wegen «nur ein bisschen»: Das Spritzenmachen brauchte sehr viel Überwindung, selbst für Käptn Hildebrand. Trotzdem schien so ein kurzes Piksen allemal besser, als die Vorstellung eines schaurigen Wurms, der von Innen an einem nagt. Sogar die Nebenwirkungen – sie mussten alle zweimal erbrechen – sogar die Nebenwirkungen nahmen sie vor diesem Hintergrund ziemlich gelassen in Kauf. Und tatsächlich, bereits am nächsten Tag ging es allen deutlich besser. Die Bauchschmerzen liessen nach, und sie hatten alle wieder richtigen Appetit. Nur Nervling ging es nicht besser; der schien sich einfach nicht zu erholen.
«Am schlimmsten war», sagte Besen-Ben, als er wieder lachen konnte, «war, dass ich auf dem Klo stets glaubte, du, jetzt komme dann gleich ein Wurm raus.» Und er erzählte immer wieder, wie er einmal einen Bandwurm aus einem Matrosenhintern herausgezogen hatte. Er habe zwei grosse Pinzetten gebraucht dazu und den Bandwurm in Schlaufen aufschiessen müssen, wie ein langes Tau. Mindestens zwanzig Meter, wenn nicht gar dreissig sei er lang gewesen. Heieieidi sagte mir, mit der Zeit habe sie geglaubt, die Geschichte selbst erlebt zu haben, so oft und detailliert habe Besen-Ben sie erzählt.
Dass es Nervling nicht besser ging, hatte einen handfesten Grund. Heieieidi erzählte mir nur zögernd davon und eigentlich im Vertrauen. Es ist ja auch bedenklich, jemanden einfach so zu vergiften. Selbst wenn dieser Jemand ein Affe ist und Nervling heisst und der Name sehr gut passt. Und selbst wenn der Vergiftete an den Folgen nicht gestorben ist, sondern nur für ein paar Tage antriebslos dahindämmerte. Eigentlich sei es eine gute Zeit gewesen, sagte mir Heieieidi, niemand hätte sich mehr aufregen müssen. Nur habe sie diese Nervpause wegen des unsäglich schlechten Gewissens nicht wirklich geniessen können.
Mit Übertreiben hatte übrigens nicht Heieieidi begonnen, sondern Nervling. Noch vor der Bauchwehzeit habe dieser Vollaffe nämlich grüne Farbe in ihr Shampoo gemischt. Grüne Farbe! Heieieidi merkte es erst, als ihr rotes Haar nach dem Waschen plötzlich grasgrün war und blieb: Alles Auswaschen half nichts. Die Farbe war absolut wasserfest. Heieieidi raste vor Wut. Und deshalb, also aus Rache habe sie Nervling nicht nur das Anti-Bandwurm-Zeugs, sondern auch eine gehörige Portion Beruhigungsmittel in den Hintern gespritzt. So sei das gewesen.

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